4. Kapitel
Die ausführliche Diskussion dieses wichtigen Ereignisses nahm die halbe
Nacht in Anspruch. Miriam, Michelle, Alyssa und sogar Sheryl saßen
beisammen, in gemütlichen Schlafanzügen gekleidet, tranken Wein und
analysierten Hunters Worte, seine Bewegungen, seine Mimik.
Miriam erinnerte sich an immer mehr Details, die sie ihren Freundinnen ausführlich auf die Nase band.
Die Tatsache, dass ein so heißer Kerl wie Hunter sie angesprochen hatte, hatte sie in der Hierarchie der Mädels-WG unerwartet eine Stufe nach oben katapultiert. Wie genau diese Hierarchie funktionierte erschloss sich mir auch nicht ganz; vor allem da für mich alle vier Frauen hoffnungslose Fälle waren.
„Er will eindeutig mit dir ins Bett“, sagte Alyssa bestimmt, nachdem sie ihr drittes Glas Wein geleert hatte.
Miriam schüttelte den Kopf. „Er hat mich um Nachhilfe gebeten.“
Diese Aussage brachte Michelle zum Lachen, was, ehrlich gesagt, reichlich bescheuert aussah. Sie warf den Kopf in den Nacken und gab tiefe, grunzende Laute von sich. Für mich klang es mehr nach einem sterbendem Schwein, aber die anderen Mädchen fanden das Lachen ihrer Mitbewohnerin sympathisch. Wahrscheinlich, weil sie dadurch wie ein Mensch wirkte.
„Schätzchen, Kerle sind alle gleich“, begann Miriam ihre Erklärungen. „Nach spätestens zwei Nachhilfestunden wird er anfangen mit dir zu flirten. Am Anfang wirst du dich vielleicht noch zieren, aber spätestens in einem Monat bist du hoffnungslos in ihn verliebt.“
Damit traf Michelle mal eine treffende Aussage, was an sich ja schon eine Überraschung war.
Sheryl war die gesamte Diskussion über auffallend still gewesen; sie war ohnehin nicht die gesprächigste Person, doch dass sie gar nichts sagte, war auffällig.
Deswegen erschraken die drei Anderen, als Sheryl das Wort ergriff. Aufgrund ihrer Vergangenheit war sie verängstigt, jeder Mann war ein Verbrecher. Sie konnte nicht mal einem in die Augen sehen, ohne eine Panikattacke zu bekommen.
„Sei vorsichtig.“ war alles was Sheryl zu dem Thema zu sagen hatte, dann verabschiedete sie sich, stand auf und schlurfte mit hängenden Schultern in ihr Zimmer.
Die drei übriggebliebenen Frauen sahen sich einige Sekunden lang schweigend an, bevor sie ausführlich begannen, zu diskutieren was mit Sheryl nicht stimmte.
Ich weiß, dass sie Sheryl auch einfach mal fragen könnten. Glaubt mir, das wäre auch das Erste was ich tun würde. Aber unsere Grazien können halt nicht so weit denken, sie erfüllen lieber das Klischee der unechten, lästernden Freunde.
Nach und nach löste sich die Mädchenrunde auf; Miriam war erschöpft. Eine so ausführliche Analyse war natürlich sehr kräfteraubend und so beschloss sie ins Bett zu gehen.
Als sie ihr Zimmer betrat, welches noch recht karg wirkte, überkam sie ein unangenehmes Gefühl.
Miriam konnte nicht genau sagen, was es war; irgendwas im Zimmer verunsicherte sie, ließ sie schrumpfen. Irgendwie fühlte sie sich beobachtet und nach einer ausführlichen Durchsuchung war sie sich sicher, dass sie das Fenster geschlossen hatte, bevor sie am Morgen ihr Reich verlassen hatte.
Nun war es aber angekippt. Mit einem unguten Gefühl stieg sie ins Bett und träumte erneut von grauen Augen; doch diesmal mischten sich von selbst öffnende Fenster ein.
Der nächste Tag zog sich; Miriam ging wie immer zur Uni, achtete auf nichts und niemanden und hörte brav in den Vorlesungen zu.
Um die Mittagszeit herum sah sie Patrick auf sich zukommen, flüchtete jedoch schnell in die entgegengesetzte Richtung. Ihr Kopf war gefüllt mit grauen Augen und Fenstern und sie hatte absolut keinen Nerv für Patrick, obwohl er ja eigentlich ganz nett gewesen war.
Sofort bekam sie ein schlechtes Gewissen und beschloss ihn am nächsten Tag aufzusuchen und sich zu entschuldigen. Für was genau sie sich da entschuldigen wollte wusste ich auch nicht; ist ja wohl kein Verbrechen mit jemandem nicht reden zu wollen.
Aber es nagte an Miriams Gewissen. Ihre Überlegungen rückten allerdings in den dunkelsten, finstersten Winkel ihres Gehirnes, als es Abend wurde und sie sich auf den Weg zum Eckcafé machte.
Michelle hatte ihr ein Kleid geliehen, Alyssa hatte sie geschminkt, Sheryl hatte sie schüchtern angelächelt und nochmals „Sei vorsichtig.“ geflüstert, bevor Miriam in der kalten Luft die paar Meter zum Treffpunkt wackelte.
Sie trug unmenschlich hohe Schuhe, auf denen sie wie verrückt wackelte und stolperte; war aber zu charakterschwach gewesen um ihrer besten Freundin zu erklären, dass sie diese Schuhe nicht anziehen wollte.
„Aber wie willst du ihn sonst beeindrucken?“ hatte Michelle verwirrt gefragt, als Miriam ihr zu erklären versucht hatte, dass sie gerne ihre gemütliche Jeans und das schwarze Shirt anlassen würde.
Und so kam es, dass die Dame sich den knapp bekleideten Arsch abfror, als sie in einem glitzerndem Fetzen und beschmiertem Gesicht vor dem Eckcafé stand und angestrengt in den Laden blickte.
Das Licht war bereits aus, die Stühle waren umgedreht auf die Tische gestellt und auch sonst wirkte der Laden mehr als verlassen. Es war bereits seit einer Stunde geschlossen und hätte Miriam sich mal die Mühe gemacht die großen weißen Druckbuchstaben an der Eingangstür zu lesen dann hätte sie das auch gewusst und sich nicht sofort wieder Horrorszenarien ausgemalt.
Vielleicht war ja ein Unfall passiert und Hunter hatte ganz schnell weggemusst! Vielleicht hatte sie ihn falsch verstanden und er hatte einen anderen Tag gemeint. Vielleicht hatte er morgens um acht Uhr gemeint.
So ging ihre Gedankenspirale immer weiter, während Miriam in dem kalten Nieselregen stand und von einem Fuß auf den anderen trat.
Das Mädchen stand ernsthaft ganze zwanzig Minuten in der Kälte, von oben bis unten glitzernd, bis ihr der Gedanke kam, dass sie ja eventuell einfach nach Hause gehen könnte. Schließlich wollte Hunter etwas von ihr und sie nicht von ihm. Da könnte er ja wohl den Zeitpunkt des Treffens ernster nehmen.
Wutentbrannt drehte Miriam sich um und rannte auch sogleich gegen einen Menschen. Sie strauchelte, brach sich fast die Knöchel. Miriam fiel nur nicht auf den Hintern, weil Hunter sie am Arm ergriff und eng an sich heranzog.
Auf einen Schlag war Miriams Wut verraucht; es fühlte sich einfach zu gut an von ihm in den Armen gehalten zu werden. Vorsichtig, nicht zu auffällig, nicht zu widerstrebend machte sie sich von ihm los und blickte in seine tiefgründigen, stinknormalen grauen Augen.
„Du hast ja gewartet.“ war alles was Hunter zu sagen hatte; keine Entschuldigung, keine Erklärung. Sein Haar war verstrubbelt, seine Kleidung etwas zerknittert. Außerdem wirkte er abgelenkt, blickte immer wieder über die Schulter.
Er hatte bestimmt bis vor einigen Minuten seine rothaarige Schnalle gevögelt! Miriam war davon so überzeugt, dass die Wut wieder in ihr aufstieg. So eine Achterbahn der Gefühle kann nicht gesund sein, ständig wütend zu werden, um dann zusammen mit der inneren Göttin zu tanzen!
Anstatt sich zu erklären oder wenigstens zu entschuldigen, ging Hunter auf die Eingangstür zu, schloss sie auf und ging in das Eckcafé hinein.
Miriam stand einige Augenblicke verloren vor der Tür, wusste nicht, was sie tun sollte. Schließlich griff sie nach der Türklinke, atmete noch einmal tief durch und trat ebenfalls ein.
Hunter bediente den Lichtschalter und hob dann zwei Stühle von einem Tisch in der Ecke. Miriam war so froh, dass der heiße Junge doch noch gekommen war, dass sie nicht merkte, dass er den Platz in der hintersten, versteckten Ecke genommen hatte. Sie dachte, er wolle ungestört mit ihr sein. Ich frage mich zzwar, wer sie in einem geschlossenem Café, in dem nur zwei Personen anwesend sind, stören soll, aber gut.
„Gehst du noch auf eine Party?“, fragte Hunter, musterte sein gegenüber ausführlich. Er ließ den Blick genüsslich an ihrem Körper herunter und wieder hinaufgleiten und leckte sich sogar für den Bruchteil einer Sekunde die Lippen.
Miriam überkam ein wohliger Schauer; die Mädels hatten recht gehabt! Sie sah toll aus und das sah auch Hunter. An seine rothaarige Freundin würde sie jedoch niemals herankommen.
Von einer Sekunde auf die Andere überkam Miriam eine Welle der Unsicherheit; sie kam sich plötzlich lächerlich und naiv vor. Wieso sollte Hunter auch Interesse an ihr haben? Sie war Miriam; das Mädchen, dass niemals die Aufmerksamkeit der Männerwelt auf sich gezogen hatte.
Das Mädchen, das immer alleine zu jeder Veranstaltung hatte gehen müssen.
Mit vor Scham gerötetem Gesicht fing sie an ihre Unterlagen auszupacken; wie auch immer sie erraten hatte in, was genau Hunter Nachhilfe brauchte.
Miriam spürte seinen Blick auf sich, gab sich jedoch die größte Mühe so zu tun, als würde sie es nicht merken. Ernsthaft, führen sich alle Mädels so auf, wenn sie einen Typen mögen? Das war ja schon beim zugucken anstrengend!
Als sie gerade anfangen wollte, herauszufinden was genau sein Problem mit dem Thema war, spürte sie eine sanfte Berührung an der Wange. Sie hob den Blick und schnappte nach Luft; Hunter hatte ihr eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen.
Er hielt ihren Blick fest, ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen.
Für einige Augenblicke genoss Miriam die Berührung, dann zog sie ihren Kopf weg.
Hunter ließ seine Hand sinken, ein Ausdruck der Verwirrung huschte über seine schönen Züge. Nicht der übliche grenzdebile, leere Ausdruck den er sonst zur Schau trug. Sondern ehrliche Verwirrung, er konnte nicht verstehen, wieso Miriam sich ihm entzogen hatte. Vielleicht hatte er auch endlich verstanden wie die Multiplikation von Zahlen funktionierte. Ich kann es euch nicht sagen, eigentlich rate ich die ganze Zeit nur.
„Hast du einen Freund?“, fragte Hunter plötzlich.
„Nein.“ Miriam war selbst davon überrascht, wie fest ihre Stimme bei diesem Wort klang.
Hunter grinste in seinen nicht vorhandenen Bart. Das war doch mal eine Information, mit der er arbeiten konnte! Ich glaube zwar, dass ihn das ohnehin nicht wirklich interessierte, ob sie einen Freund hatte. Der Bursche hatte Frischfleisch gerochen, da war es ihm ziemlich egal, ob sie in festen Händen war oder nicht.
"Warum nicht?" stellte er seine nächste Frage. Ich glaube ja, dass er im Kopf eine Liste abarbeitete, die er jeder Frau vortrug.
"Aus verschiedenen Gründen.", erwiderte Miriam ausweichend.
Sie wollte ihm nicht erklären, warum sie noch nie einen Freund gehabt hatte. Es stand zwar nirgends geschrieben, dass sie ihm gleich ihre nicht vorhandene Liebesgeschichte erzählen musste, aber wir haben alle ja schon mitbekommen, dass Miriam nicht gerade mit Gehirnzellen punkten kann.
Diese Antwort war Hunter jedoch zu wenig. Er griff nach dem Stift, mit dem Miriam gerade etwas aufschrieb und nahm ihn ihr aus der Hand.
"Nenn mir einen Grund." verlangte er. Richtig gelesen! Er fragte nicht, er verlangte. Sein Tonfall war bestimmend und fordernd, als würde er einen ungezogenen Hund von der Couch verjagen.
In einem plötzlichen Anfall von Charakterstärke hob Miriam ruckartig ihren Kopf.
"Wieso ist das wichtig?" wollte sie wissen.
Hunter grinste; ein herablassendes Grinsen. So ein Grinsen, was man jemandem aus dem Gesicht prügeln möchte.
"Weil ich es gerne wissen möchte."
Anscheinend war das und diese stinklangweiligen grauen Augen genug Druck, denn Miriam knickte ein.
Sie seufzte dramatisch auf, fuhr sich durch die Haare und begann zu erzählen: "Weil ich einfach nicht interessant für Männer bin. Sie übersehen mich, steigen eher meiner besten Freundin hinterher. Ich bin …" Miriam suchte nach dem richtigen Wort. "Uninteressant." schloss sie schließlich niedergeschlagen.
Hunter sagte lange Zeit nichts, begutachtete sein Gegenüber nur. Miriam wusste nicht wieso, doch spürte sie plötzlich eine Art Verbindung zu Hunter. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie ihm vertrauen konnte. Es war ihr leicht gefallen, ihm ihre Bedenken bezüglich Männer mitzuteilen.
Solche Sachen sagte sie normalerweise nicht; schon gar nicht jemandem, der so unverschämt gut aussah und den sie eigentlich gar nicht kannte.
Miriam schlug die Beine übereinander und wartete ungeduldig auf Hunters Antwort.
"Ich finde dich nicht uninteressant.", sagte unser kleiner Scheißer schließlich.
Ich habe keine Ahnung wieso die Beiden plötzlich so taten, als würden sie sich bereits seit Jahren kennen, doch auch Hunter beugte sich vertraulich zu Miriam hinüber.
Er schenkte die Stimme. "Ich kann dir zeigen, wie interessant das Leben sein kann.", raunte er.
Miriam stieg die Röte ins Gesicht. Was meinte er damit? Was sollte sie mit dieser Aussage nur anfangen? Es war frustrierend, dass er so in Rätseln sprach.
Um seine Aussage zu unterstreichen, klappte Hunter sein Buch zu. Wieso auch die Nachhilfe ernst nehmen? Ihm war es gerade viel wichtiger die Nachhilfelehrerin, die ohnehin noch nichts geleistet hatte zu verführen … äh, Verzeihung. Auszuführen.
Hunter streckte Miriam die Hand entgegen. Diese strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und blickte wie ein angeschossenes Reh zu ihm auf.
Der kleine Scheißer zuckte ungeduldig mit den Fingern.
"Lass' uns von hier abhauen und etwas unternehmen."
Als Miriam nicht reagierte wurde er ungeduldig. Normalerweise war seine Beute nicht so widerstandsfähig; sie sprangen immer sofort auf, schmissen sich ihm sogar an den Hals und stolzierten an seiner Seite in Richtung Abenteuer.
Es gefiel ihm, dass Miriam sich sträubte. Das machte die ganze Sache noch interessanter.
Um sie endgültig auf seine Seite zu ziehen, beugte er sich erneut zu ihr herunter. Kam mit seinen Lippen ganz nah an ihr Ohr und flüsterte: "Lass mich dir zeigen, wie es ist, wenn man keine Angst davor hat zu fliegen."
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Miriam erinnerte sich an immer mehr Details, die sie ihren Freundinnen ausführlich auf die Nase band.
Die Tatsache, dass ein so heißer Kerl wie Hunter sie angesprochen hatte, hatte sie in der Hierarchie der Mädels-WG unerwartet eine Stufe nach oben katapultiert. Wie genau diese Hierarchie funktionierte erschloss sich mir auch nicht ganz; vor allem da für mich alle vier Frauen hoffnungslose Fälle waren.
„Er will eindeutig mit dir ins Bett“, sagte Alyssa bestimmt, nachdem sie ihr drittes Glas Wein geleert hatte.
Miriam schüttelte den Kopf. „Er hat mich um Nachhilfe gebeten.“
Diese Aussage brachte Michelle zum Lachen, was, ehrlich gesagt, reichlich bescheuert aussah. Sie warf den Kopf in den Nacken und gab tiefe, grunzende Laute von sich. Für mich klang es mehr nach einem sterbendem Schwein, aber die anderen Mädchen fanden das Lachen ihrer Mitbewohnerin sympathisch. Wahrscheinlich, weil sie dadurch wie ein Mensch wirkte.
„Schätzchen, Kerle sind alle gleich“, begann Miriam ihre Erklärungen. „Nach spätestens zwei Nachhilfestunden wird er anfangen mit dir zu flirten. Am Anfang wirst du dich vielleicht noch zieren, aber spätestens in einem Monat bist du hoffnungslos in ihn verliebt.“
Damit traf Michelle mal eine treffende Aussage, was an sich ja schon eine Überraschung war.
Sheryl war die gesamte Diskussion über auffallend still gewesen; sie war ohnehin nicht die gesprächigste Person, doch dass sie gar nichts sagte, war auffällig.
Deswegen erschraken die drei Anderen, als Sheryl das Wort ergriff. Aufgrund ihrer Vergangenheit war sie verängstigt, jeder Mann war ein Verbrecher. Sie konnte nicht mal einem in die Augen sehen, ohne eine Panikattacke zu bekommen.
„Sei vorsichtig.“ war alles was Sheryl zu dem Thema zu sagen hatte, dann verabschiedete sie sich, stand auf und schlurfte mit hängenden Schultern in ihr Zimmer.
Die drei übriggebliebenen Frauen sahen sich einige Sekunden lang schweigend an, bevor sie ausführlich begannen, zu diskutieren was mit Sheryl nicht stimmte.
Ich weiß, dass sie Sheryl auch einfach mal fragen könnten. Glaubt mir, das wäre auch das Erste was ich tun würde. Aber unsere Grazien können halt nicht so weit denken, sie erfüllen lieber das Klischee der unechten, lästernden Freunde.
Nach und nach löste sich die Mädchenrunde auf; Miriam war erschöpft. Eine so ausführliche Analyse war natürlich sehr kräfteraubend und so beschloss sie ins Bett zu gehen.
Als sie ihr Zimmer betrat, welches noch recht karg wirkte, überkam sie ein unangenehmes Gefühl.
Miriam konnte nicht genau sagen, was es war; irgendwas im Zimmer verunsicherte sie, ließ sie schrumpfen. Irgendwie fühlte sie sich beobachtet und nach einer ausführlichen Durchsuchung war sie sich sicher, dass sie das Fenster geschlossen hatte, bevor sie am Morgen ihr Reich verlassen hatte.
Nun war es aber angekippt. Mit einem unguten Gefühl stieg sie ins Bett und träumte erneut von grauen Augen; doch diesmal mischten sich von selbst öffnende Fenster ein.
Der nächste Tag zog sich; Miriam ging wie immer zur Uni, achtete auf nichts und niemanden und hörte brav in den Vorlesungen zu.
Um die Mittagszeit herum sah sie Patrick auf sich zukommen, flüchtete jedoch schnell in die entgegengesetzte Richtung. Ihr Kopf war gefüllt mit grauen Augen und Fenstern und sie hatte absolut keinen Nerv für Patrick, obwohl er ja eigentlich ganz nett gewesen war.
Sofort bekam sie ein schlechtes Gewissen und beschloss ihn am nächsten Tag aufzusuchen und sich zu entschuldigen. Für was genau sie sich da entschuldigen wollte wusste ich auch nicht; ist ja wohl kein Verbrechen mit jemandem nicht reden zu wollen.
Aber es nagte an Miriams Gewissen. Ihre Überlegungen rückten allerdings in den dunkelsten, finstersten Winkel ihres Gehirnes, als es Abend wurde und sie sich auf den Weg zum Eckcafé machte.
Michelle hatte ihr ein Kleid geliehen, Alyssa hatte sie geschminkt, Sheryl hatte sie schüchtern angelächelt und nochmals „Sei vorsichtig.“ geflüstert, bevor Miriam in der kalten Luft die paar Meter zum Treffpunkt wackelte.
Sie trug unmenschlich hohe Schuhe, auf denen sie wie verrückt wackelte und stolperte; war aber zu charakterschwach gewesen um ihrer besten Freundin zu erklären, dass sie diese Schuhe nicht anziehen wollte.
„Aber wie willst du ihn sonst beeindrucken?“ hatte Michelle verwirrt gefragt, als Miriam ihr zu erklären versucht hatte, dass sie gerne ihre gemütliche Jeans und das schwarze Shirt anlassen würde.
Und so kam es, dass die Dame sich den knapp bekleideten Arsch abfror, als sie in einem glitzerndem Fetzen und beschmiertem Gesicht vor dem Eckcafé stand und angestrengt in den Laden blickte.
Das Licht war bereits aus, die Stühle waren umgedreht auf die Tische gestellt und auch sonst wirkte der Laden mehr als verlassen. Es war bereits seit einer Stunde geschlossen und hätte Miriam sich mal die Mühe gemacht die großen weißen Druckbuchstaben an der Eingangstür zu lesen dann hätte sie das auch gewusst und sich nicht sofort wieder Horrorszenarien ausgemalt.
Vielleicht war ja ein Unfall passiert und Hunter hatte ganz schnell weggemusst! Vielleicht hatte sie ihn falsch verstanden und er hatte einen anderen Tag gemeint. Vielleicht hatte er morgens um acht Uhr gemeint.
So ging ihre Gedankenspirale immer weiter, während Miriam in dem kalten Nieselregen stand und von einem Fuß auf den anderen trat.
Das Mädchen stand ernsthaft ganze zwanzig Minuten in der Kälte, von oben bis unten glitzernd, bis ihr der Gedanke kam, dass sie ja eventuell einfach nach Hause gehen könnte. Schließlich wollte Hunter etwas von ihr und sie nicht von ihm. Da könnte er ja wohl den Zeitpunkt des Treffens ernster nehmen.
Wutentbrannt drehte Miriam sich um und rannte auch sogleich gegen einen Menschen. Sie strauchelte, brach sich fast die Knöchel. Miriam fiel nur nicht auf den Hintern, weil Hunter sie am Arm ergriff und eng an sich heranzog.
Auf einen Schlag war Miriams Wut verraucht; es fühlte sich einfach zu gut an von ihm in den Armen gehalten zu werden. Vorsichtig, nicht zu auffällig, nicht zu widerstrebend machte sie sich von ihm los und blickte in seine tiefgründigen, stinknormalen grauen Augen.
„Du hast ja gewartet.“ war alles was Hunter zu sagen hatte; keine Entschuldigung, keine Erklärung. Sein Haar war verstrubbelt, seine Kleidung etwas zerknittert. Außerdem wirkte er abgelenkt, blickte immer wieder über die Schulter.
Er hatte bestimmt bis vor einigen Minuten seine rothaarige Schnalle gevögelt! Miriam war davon so überzeugt, dass die Wut wieder in ihr aufstieg. So eine Achterbahn der Gefühle kann nicht gesund sein, ständig wütend zu werden, um dann zusammen mit der inneren Göttin zu tanzen!
Anstatt sich zu erklären oder wenigstens zu entschuldigen, ging Hunter auf die Eingangstür zu, schloss sie auf und ging in das Eckcafé hinein.
Miriam stand einige Augenblicke verloren vor der Tür, wusste nicht, was sie tun sollte. Schließlich griff sie nach der Türklinke, atmete noch einmal tief durch und trat ebenfalls ein.
Hunter bediente den Lichtschalter und hob dann zwei Stühle von einem Tisch in der Ecke. Miriam war so froh, dass der heiße Junge doch noch gekommen war, dass sie nicht merkte, dass er den Platz in der hintersten, versteckten Ecke genommen hatte. Sie dachte, er wolle ungestört mit ihr sein. Ich frage mich zzwar, wer sie in einem geschlossenem Café, in dem nur zwei Personen anwesend sind, stören soll, aber gut.
„Gehst du noch auf eine Party?“, fragte Hunter, musterte sein gegenüber ausführlich. Er ließ den Blick genüsslich an ihrem Körper herunter und wieder hinaufgleiten und leckte sich sogar für den Bruchteil einer Sekunde die Lippen.
Miriam überkam ein wohliger Schauer; die Mädels hatten recht gehabt! Sie sah toll aus und das sah auch Hunter. An seine rothaarige Freundin würde sie jedoch niemals herankommen.
Von einer Sekunde auf die Andere überkam Miriam eine Welle der Unsicherheit; sie kam sich plötzlich lächerlich und naiv vor. Wieso sollte Hunter auch Interesse an ihr haben? Sie war Miriam; das Mädchen, dass niemals die Aufmerksamkeit der Männerwelt auf sich gezogen hatte.
Das Mädchen, das immer alleine zu jeder Veranstaltung hatte gehen müssen.
Mit vor Scham gerötetem Gesicht fing sie an ihre Unterlagen auszupacken; wie auch immer sie erraten hatte in, was genau Hunter Nachhilfe brauchte.
Miriam spürte seinen Blick auf sich, gab sich jedoch die größte Mühe so zu tun, als würde sie es nicht merken. Ernsthaft, führen sich alle Mädels so auf, wenn sie einen Typen mögen? Das war ja schon beim zugucken anstrengend!
Als sie gerade anfangen wollte, herauszufinden was genau sein Problem mit dem Thema war, spürte sie eine sanfte Berührung an der Wange. Sie hob den Blick und schnappte nach Luft; Hunter hatte ihr eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht gestrichen.
Er hielt ihren Blick fest, ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen.
Für einige Augenblicke genoss Miriam die Berührung, dann zog sie ihren Kopf weg.
Hunter ließ seine Hand sinken, ein Ausdruck der Verwirrung huschte über seine schönen Züge. Nicht der übliche grenzdebile, leere Ausdruck den er sonst zur Schau trug. Sondern ehrliche Verwirrung, er konnte nicht verstehen, wieso Miriam sich ihm entzogen hatte. Vielleicht hatte er auch endlich verstanden wie die Multiplikation von Zahlen funktionierte. Ich kann es euch nicht sagen, eigentlich rate ich die ganze Zeit nur.
„Hast du einen Freund?“, fragte Hunter plötzlich.
„Nein.“ Miriam war selbst davon überrascht, wie fest ihre Stimme bei diesem Wort klang.
Hunter grinste in seinen nicht vorhandenen Bart. Das war doch mal eine Information, mit der er arbeiten konnte! Ich glaube zwar, dass ihn das ohnehin nicht wirklich interessierte, ob sie einen Freund hatte. Der Bursche hatte Frischfleisch gerochen, da war es ihm ziemlich egal, ob sie in festen Händen war oder nicht.
"Warum nicht?" stellte er seine nächste Frage. Ich glaube ja, dass er im Kopf eine Liste abarbeitete, die er jeder Frau vortrug.
"Aus verschiedenen Gründen.", erwiderte Miriam ausweichend.
Sie wollte ihm nicht erklären, warum sie noch nie einen Freund gehabt hatte. Es stand zwar nirgends geschrieben, dass sie ihm gleich ihre nicht vorhandene Liebesgeschichte erzählen musste, aber wir haben alle ja schon mitbekommen, dass Miriam nicht gerade mit Gehirnzellen punkten kann.
Diese Antwort war Hunter jedoch zu wenig. Er griff nach dem Stift, mit dem Miriam gerade etwas aufschrieb und nahm ihn ihr aus der Hand.
"Nenn mir einen Grund." verlangte er. Richtig gelesen! Er fragte nicht, er verlangte. Sein Tonfall war bestimmend und fordernd, als würde er einen ungezogenen Hund von der Couch verjagen.
In einem plötzlichen Anfall von Charakterstärke hob Miriam ruckartig ihren Kopf.
"Wieso ist das wichtig?" wollte sie wissen.
Hunter grinste; ein herablassendes Grinsen. So ein Grinsen, was man jemandem aus dem Gesicht prügeln möchte.
"Weil ich es gerne wissen möchte."
Anscheinend war das und diese stinklangweiligen grauen Augen genug Druck, denn Miriam knickte ein.
Sie seufzte dramatisch auf, fuhr sich durch die Haare und begann zu erzählen: "Weil ich einfach nicht interessant für Männer bin. Sie übersehen mich, steigen eher meiner besten Freundin hinterher. Ich bin …" Miriam suchte nach dem richtigen Wort. "Uninteressant." schloss sie schließlich niedergeschlagen.
Hunter sagte lange Zeit nichts, begutachtete sein Gegenüber nur. Miriam wusste nicht wieso, doch spürte sie plötzlich eine Art Verbindung zu Hunter. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie ihm vertrauen konnte. Es war ihr leicht gefallen, ihm ihre Bedenken bezüglich Männer mitzuteilen.
Solche Sachen sagte sie normalerweise nicht; schon gar nicht jemandem, der so unverschämt gut aussah und den sie eigentlich gar nicht kannte.
Miriam schlug die Beine übereinander und wartete ungeduldig auf Hunters Antwort.
"Ich finde dich nicht uninteressant.", sagte unser kleiner Scheißer schließlich.
Ich habe keine Ahnung wieso die Beiden plötzlich so taten, als würden sie sich bereits seit Jahren kennen, doch auch Hunter beugte sich vertraulich zu Miriam hinüber.
Er schenkte die Stimme. "Ich kann dir zeigen, wie interessant das Leben sein kann.", raunte er.
Miriam stieg die Röte ins Gesicht. Was meinte er damit? Was sollte sie mit dieser Aussage nur anfangen? Es war frustrierend, dass er so in Rätseln sprach.
Um seine Aussage zu unterstreichen, klappte Hunter sein Buch zu. Wieso auch die Nachhilfe ernst nehmen? Ihm war es gerade viel wichtiger die Nachhilfelehrerin, die ohnehin noch nichts geleistet hatte zu verführen … äh, Verzeihung. Auszuführen.
Hunter streckte Miriam die Hand entgegen. Diese strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht und blickte wie ein angeschossenes Reh zu ihm auf.
Der kleine Scheißer zuckte ungeduldig mit den Fingern.
"Lass' uns von hier abhauen und etwas unternehmen."
Als Miriam nicht reagierte wurde er ungeduldig. Normalerweise war seine Beute nicht so widerstandsfähig; sie sprangen immer sofort auf, schmissen sich ihm sogar an den Hals und stolzierten an seiner Seite in Richtung Abenteuer.
Es gefiel ihm, dass Miriam sich sträubte. Das machte die ganze Sache noch interessanter.
Um sie endgültig auf seine Seite zu ziehen, beugte er sich erneut zu ihr herunter. Kam mit seinen Lippen ganz nah an ihr Ohr und flüsterte: "Lass mich dir zeigen, wie es ist, wenn man keine Angst davor hat zu fliegen."
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