Dienstag, 15. November 2016

| Musikgebrabbel #8 | Skillet, 12.11.2016, Hamburg, Docks

Achtung, Achtung!! Sob story und Seelenstripease xD

Ich höre die Band „Skillet“ schon sehr lange. Genau genommen, war sie eine der ersten Bands die ich mir anhörte, als ich anfing mich mit Rockmusik zu befassen. Deswegen stand für mich fest, dass ich nach Hamburg zum Konzert fahren würde. Meine Sandkastenfreundin wollte ebenfalls unbedingt hin. Und da meine Schwester ja in Hamburg wohnt, hatten wir eine Übernachtungsmöglichkeit und verplanten gleich mal ein freies Wochenende. Also, in der Eiseskälte am Alexanderplatz treffen, zum Hauptbahnhof tuckern, das System hinter den Reservierungen im ICE erkennen und ab nach Hamburg. Zu meiner Schwester auf Arbeit fahren, den Schlüssel abholen, in ihre Wohnung fahren, essen und dabei mit „Skillet“ auf das Konzert einstimmen. Da meine Schwester doch kurzfristig arbeiten musste, noch über Facebook schnell die dritte Karte verkaufen und so gleich eine neue Bekanntschaft kennenlernen. Nettes Mädel gewesen, vielleicht bleibt man ja in Kontakt.

Da wir spät losgingen, um nicht in der Kälte warten zu müssen kamen wir schnell in den Club rein. Dann mussten wir das furchtbar intelligente und geniale Konzept hinter der Garderobe rausfinden. Ewig langes warten, Treppe rauf, fünfmal um die Ecke und dreimal im Kreis drehen, so ungefähr. Wir haben beschlossen oben zu bleiben. Im Prinzip stand ich ganz oben und ganz hinten, aber da ich ’ne große Frau mit noch größerer Klappe bin, habe ich nach einem energischen „Darf ich mal?“ alles sehen können. Und pünktlich um 20 Uhr fing dann „Skilletan zu spielen. Ich kann das irgendwie gar nicht richtig beschreiben, wie es für mich war diese Band live zu sehen. Es war … magisch? Intensiv? Irgendwie war ich die ganze Zeit über traurig, aber habe dennoch wie eine Irre gegrinst.

Die beiden Highlights waren definitiv, als die Band das Lied „Rise“ beendete und wenige Sekunden alles still war. Plötzlich, fingen die Leute ganz vorne an zu klatschen und immer wieder „Rise! Rise in Revolution!“ sangen. Immer weiter, immer schneller. Bis die gesamte Menschenmenge von 1500 Menschen diese Worte brüllte und der Gitarrist der Band sogar sein Handy rausholte um uns zu filmen. Etwas Ähnliches geschah während des Liedes „Sick of it“. Diese Verbundenheit die man in diesen wenigen Sekunden spürt … dieses Gefühl ist der Wahnsinn. Allerdings, wurde das Konzert von etwas anderem dominiert.

Es ist nämlich so, dass „Skillet“ die Band war, die bei mir in Endlosschleife lief, als ich Depressionen und zwanzig Panikattacken am Tag hatte. Als es für mich absolut undenkbar war mal eben in einen Zug zu steigen und mit einer Arschruhe von Berlin nach Hamburg zu fahren. Als ich körperliche Schmerzen empfand, wenn ein Mensch mich berührte. Und da stand ich nun – fast vier Jahre später, um einige Freunde leichter, aber um tausend Erfahrungen reicher. Als ich mit achtzehn Jahren das erste Mal „Skillet“ hörte, saß ich an meinem Computer, weinte hysterisch und steigerte mich konsequent in meine Panikattacken rein, mit einer Klinge in der Hand und blutenden Unterarmen, Oberschenkeln und Schlüsselbeinen.
Dann stand ich nun mit 22 Jahren in diesem stickigen Club und brüllte aus voller Kehle die Zeilen: „You come to me with scars on your wrist, you tell me this will be the last night feeling like this.“ Die ersten beiden Zeilen des unglaublichen Songs „The Last Night“. Keine Panikattacke in Sicht, leicht vernarbte Unterarme und Oberschenkel. Vielleicht ein bisschen lädiert und irgendwo abgefuckt, aber im Grunde glücklich, mit wahren Freunden, einem festen Job, guter Gesundheit und unglaublichen Erinnerungen.

Und deswegen verdrückte ich auch eine oder zwei Tränen bei dem Song „Rebirthing“. „I wanna break out. I need a way out. I don't believe that it's gonna be this way.“ Meine Hymne damals, vor vier Jahren. Und die grinsende und springende und klatschende Frau erinnerte sich daran, wie sie mit etwas längeren Haaren eingefallenem Gesicht und 10 kg weniger auf den Rippen, zitternd und heulend auf dem Badezimmerboden saß, sich die Haut aufschlitzte, büschelweise Haare ausriss und vor lauter Schluchzen kaum noch Luft bekam. Wie diese Frau ein Jahr später jeden Tag wie eine Alkoholikerin soff um den Schmerz zu betäuben. Wie sie, noch ein Jahr später, auf Arbeit mit Absicht heiße Bleche anfasste um zu überprüfen, ob sie noch etwas fühlen konnte. Wie sie langsam zurück ins Leben zurückfand, sich durch endlose Panikattacken kämpfte und mitzukriegen dass sie weniger und schwächer werden, wenn man seine Ängste konfrontiert, die Arschbacken zusammenkneift und endlich mal auf die Therapeutin hört. Wie sie einem Kumpel zu ersten Mal die ganze hässliche Geschichte erzählte und jämmerlich zusammenbrach, als er sie in den Arm nahm und sie, zum ersten Mal seit zwei Jahren, keine Panikattacke bekam, weil jemand sie berührte. Wie sie anfing für andere Leute, die ähnliche Probleme hatten, ein offenes Ohr zu haben, aber gelernt hatte zuerst an sich selbst zu denken.

Und als der Song „Rebirthing“ zu Ende war platzte alles aus mir heraus. Ich brach zusammen und weinte. Und zum ersten Mal in meinem Leben gestatte ich mir, mir selbst leid zu tun. Meine Sandkastenfreundin (18 gemeinsame Jahre liegen hinter uns) nahm mich in den Arm und flüsterte mir „Du hast es geschafft. Du hast gewonnen. Sie haben dich nicht klein gekriegt.“ ins Ohr, was zu noch mehr Tränen führte. Und es stimmt. Klar, ich hätte mich auch ohne Panikstörung, Zwangsneurosen und Depressionen in diesen vier Jahren weiterentwickelt. Aber, im Grunde bin ich zufrieden so wie ich heute bin. Es gibt immer noch Baustellen, an denen ich fleißig arbeite. Ich bin immer noch die größte Zicke die über diesen Planeten wandelt. Aber ich habe auch Geduld und Verständnis und Toleranz auf Ebenen entwickelt, die man erleben muss um sie zu verstehen. Nach dem Konzert wurde mir etwas ganz wichtigstes, das Wichtigste überhaupt klar: ich bin glücklich.

Wenn ich in den letzten Tagen „Skillet“ gehört habe, dann habe ich nicht mehr an meine Vergangenheit gedacht. Ich habe an dieses Konzert gedacht und wie gut es mir danach ging, wie leicht ich mich gefühlt habe, wie mir nichts etwas anhaben konnte. Es war nur ein Konzert, 90 Minuten, und dennoch war es ein unheimlich wichtiger Schritt für mich. Ich bin nicht geheilt, das werde ich nie sein. Aber, in den vergangen vier Jahren habe ich gelernt mit meiner Krankheit zu leben. Das Lustige ist; ich habe in diesen vier Jahren von den unterschiedlichsten Menschen gehört wie unglaublich stark und hart im Nehmen ich bin. Aber bis zu diesem Abend habe ich mich nie so gefühlt. 

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